Rang und Machtunterschied gehören zur Führung, dies gilt mindestens implizit auch für moderne Formen wie Holocracy, Soziokratie oder in der agilen Welt, wo über präzis definierte Rollen geführt wird.
Die Frage stellt sich daher, inwieweit man die Begegnung auf Augenhöhe auch als Führungskraft nutzen kann. Das hätte folgende Vorteile:
– sich gegenseitig ernst- und wahrgenommen fühlen
– Entscheide werden mitbeeinflusst und mitgetragen durch diejenigen,
welche die Kunden, Märkte und Technologien konkret kennen
– es geht um die Sache und man kann gegenseitig voneinander lernen.
Augenhöhe bedeutet nicht gleiche Rechte oder Machtgleichheit. Jesper Juul hat die Bezeichnung „Gleichwürdigkeit“ (von gleichem Wert und mit demselben Respekt gegenüber der persönlichen Würde und Integrität der Partner) eingeführt. Gleichwürdigkeit gilt auch in der Führungsbeziehung, zwischen Eltern und Kind oder in der Schule.
Das Verständnis von Gleichwürdigkeit hilft, sich als Führungsperson nicht allzu stark mit dem eigenen Rang und der Rolle zu identifizieren. Denn nur wer sich seines Ranges ̶ mit dem nötigen Abstand dazu ̶ bewusst ist, kann flexibel sein.
Darauf hat sich auch Edgar Schein in seinem Buch „Humble Leadership“ bezogen. Er empfiehlt den Führenden, „humble“ zu sein, offen zu fragen und zu explorieren: auf Augenhöhe und nicht in der Rolle als mächtigere, mehr- oder gar besser-wissende Person.
Für die Führung nenne ich dies „Dynamische Augenhöhe“. Die grössere Bandbreite bedingt aber, nebem dem „Humble-Sein“, auch den situativen Kontext zu beachten und allenfalls bewusst in die Dominanz oder Unterordnung zu gehen. Zum Beispiel, wenn die Unternehmenskultur hierarchisch ist, Fachwissen oder Erfahrung völlig ungleich verteilt sind oder wenn in einer Krisensituation top-down Entscheide erforderlich sind oder ganz einfach die Zeit für eine Konsultation fehlt.
Wichtig dabei ist, dass Dominanz / Unterordnung bewusst und kontextbezogen geschehen und nicht einfach von Ego, Statusdenken, Unsicherheit oder Positionierungswünschen getrieben sind, was man immer wieder antrifft.
Dialogpartner, Freunde und Coaches können hier unterstützen und dies subtil und nicht verurteilend (gleichwürdig) ansprechen, so dass die wahren Bedürfnisse dahinter erkannt werden und die eigene Bandbreite der dynamischen Augenhöhe sich vergrössern kann.
Dynamische Augenhöhe und Humble Leadership bedingen sich gegenseitig, sie fördern die Nutzung des gemeinsamen Wissens und der kollektiven Intelligenz.